Abenteuer mit Sicherungsleine

INTERVIEW MIT CLAS VESPER, PROJEKTLEITER KUNSTSTOFFZENTRUM
STAND 2012

Im Jahr 2005 bot die Geschäftsführung ihren Auszubildenden erstmals ein Jahr Arbeit im Ausland an. Im Raum stand ein Aufenthalt in China. Niemand machte Ernst – bis auf Clas Vesper, damals Auszubildender zum Werkzeugmechaniker in der Kunststofffertigung. Er übernahm die Vorreiterrolle und stellte auch Gira vor neue logistische Herausforderungen in Bezug auf die Organisation von Arbeitsstelle, Unterkunft und Visum. Knapp ein Jahr später startete seine Reise in die Millionenmetropole Shanghai.

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Auslandsaufenthalt


Duales Studium

Herr Vesper, warum waren Sie der Einzige, der Interesse am Auslandsaufenthalt in China gezeigt hat?

CV: Ich glaube, Interesse hatten die anderen auch, aber es hat sich damals niemand so recht getraut.

Wie war das denn bei Ihnen, waren Sie nicht nervös?

CV: Doch natürlich, ich hab mich verrückt gemacht dieses halbe Jahr bzw. die drei, vier Monate vorher, in denen klar war, dass ich wirklich rübergehe. Ich hatte mich gut vorbereitet, auch über die Kultur dort, und mehrere Bücher gelesen. Am Ende war das alles nicht so wild. Es gab schon einen Kulturschock, aber nicht so extrem, wie es im Vorfeld von meinen Kollegen geschildert wurde.

Was hat Gira unternommen, um Sie möglichst gut auf Ihr Jahr in China vorzubereiten?

CV: Gira hat natürlich die generellen Dinge für mich geregelt, meine Stelle, die Unterkunft, Versicherungen, Visa, alle Flüge, auch für meine Urlaube in Deutschland, das war ziemlich komfortabel für mich. Auch vor Ort konnte ich bei allen Fragen auf das Schanghai- Office von Gira zurückgreifen, dort hat jemand Deutsch gesprochen. Es gab für mich also immer ein Back-up, falls etwas passieren sollte. Auch im Worst Case, wenn ich den Aufenthalt hätte abbrechen wollen, wäre das nur ein Anruf gewesen.

Hatten Sie vorher schon Ihren Wiedereinstieg geregelt, sodass Sie sich beruhigt auf den Aufenthalt in China einlassen konnten?

CV: Ja, wir hatten schon im Vorfeld besprochen, welche Möglichkeiten des Wiedereinstiegs es für mich gibt, und es war auch klar, dass mich dieses Jahr in China beruflich weiterbringen sollte. Ich wusste also schon, dass ich als Projektsachbearbeiter wieder anfangen und in der Werkzeugbereitstellung die internationale Werkzeugbeschaffung mit Schwerpunkt Asien betreuen würde.

Das heißt, Sie sind auch heute weiterhin in China unterwegs?

CV: Ja, ich bin Projektleiter im Kunststoffzentrum und hier für die Betreuung der Werkzeuge, die wir in China fertigen lassen, verantwortlich. Von daher bin ich immer noch dort unterwegs und wundere mich jedes Mal, wie schnell sich vor Ort alles entwickelt, allein was die Englischsprachkenntnisse angeht.

2006 war das noch anders?

CV: Ja, das Unternehmen lag im Fengxian District, also sehr weit außerhalb des Zentrums von Schanghai. Dort konnte keiner Englisch, und ich konnte kein Chinesisch. Ich bin ziemlich ins kalte Wasser gesprungen.



Die Leinen auswerfen und die gewünschte Stelle „an Land ziehen“:
Clas Vesper hat den Schritt ins Ausland gewagt – und sich damit bei Gira ganz klar für die internationale Werkzeugbeschaffung qualifiziert. „Das Jahr in China hat sich definitiv für mich gelohnt.“


Wie funktioniert die Zusammenarbeit ohne entsprechende Sprachkenntnisse?

CV: Mit Konstruktionszeichnungen und mit Händen und Füßen.

Das klingt verrückt.

CV: Ja, im Nachhinein hab ich das auch manchmal gedacht. Aber das funktioniert. Eine Werkzeugzeichnung wird überall auf der Welt als gleich angesehen, darüber kann man sich sehr gut verständigen. Das machen wir auch heute noch so.

Haben Sie ab und zu Feedback bekommen, ob man zufrieden mit Ihrer Arbeit ist?

CV: Ich wurde ziemlich oft gelobt, aber für Dinge, von denen ich dachte, das ist doch nichts Besonderes. Einmal habe ich aber auch Ärger bekommen wegen eines kaputten Formeinsatzes. Da stand mein Chef vor mir und hat auf Chinesisch gebrüllt, und ich habe natürlich kein Wort verstanden.

Heißt es nicht immer, dass Chinesen nicht aufbrausend reagieren dürfen, weil sie sonst einen Gesichtsverlust riskieren?

CV: Im Vorfeld wurde mir oft gesagt, dass ich wegen des Gesichtsverlustes aufpassen muss, man soll Chinesen nicht vor anderen Leuten lächerlich machen, vorsichtig sein mit Witzen und sie nicht verbal angreifen. Das konnte ich aber nicht bestätigen. In der Fertigung wurde es durchaus schon mal lauter, wenn auch etwas verhaltener als in Deutschland.

Wo haben Sie gewohnt?

CV: Ich hatte eine Wohnung, 300 Meter vom Unternehmen entfernt. Da habe ich mit einem Leiter aus der Konstruktion zusammengewohnt. Aber das hat nicht so gepasst, unter anderem, weil ich das Gefühl hatte, stark kontrolliert zu werden.

Woran haben Sie das gemerkt?

CV: Mir wurde zum Beispiel einmal nahegelegt, am Wochenende nicht auszugehen, damit ich mich mehr auf die Arbeit konzentrieren könne. Das kennt man natürlich als Europäer nicht. Später habe ich mir dann eine neue Wohnung gesucht.


Clas Vesper mag den heimischen Fisch.
„Nahrung war ein großes Thema bei meinem ersten Besuch in China. Am Anfang konnte ich vieles einfach nicht essen.“


Haben Sie noch andere Dinge von Land und Leuten gesehen?

CV: Bedingt, einmal war ich in Peking, aber wirklich frei hatte ich ja nur am Sonntag, und da war der Drang, in China herumzureisen, nicht so groß. Aber ich bin am Wochenende oft mit meinen chinesischen Kollegen ausgegangen. Und nachher habe ich einen Australier kennengelernt, mit dem ich viel unterwegs war. Im Nachbarort gab es die „Europabar“, da haben sich die Ausländer der Umgebung getroffen.

Ihre chinesischen Kollegen waren dann nicht dabei?

CV: Nein, ich hatte öfter mal dorthin eingeladen, aber das wollten die meisten Kollegen nicht.

Ist es nicht generell schwierig, sich näher kennenzulernen? Schon wegen der Mentalitätsunterschiede?

CV: Einen Kollegen hatte ich, der hat mir vieles anvertraut. Aber generell sind Chinesen schon distanzierter im Privatleben. Und wirklich auffallend anders war der Humor. Europäer lachen über ganz andere Dinge.

Welche Aspekte Ihres Aufenthaltes sind Ihnen am lebendigsten in Erinnerung geblieben?

CV: Essen war ein großes Thema. Am Anfang konnte ich vieles einfach nicht essen. Irgendwann dachte ich aber: Die Chinesen leben ja auch noch alle. Und dann habe ich angefangen richtig zuzulangen und habe alles probiert. Außer Hund.

Und dann mussten Sie auch noch einen Karaoke-Abend durchstehen.

CV: Ja, das war zu National Holidays, und davor gab es diese Feier mit dem Karaoke- Abend. Da haben meine Kollegen mich auf die Bühne geholt, und ich musste vor 450 Mann singen.

Das klingt wirklich nach Kulturschock. Würden Sie trotzdem sagen, dass sich dieses eine Jahr in China für Sie gelohnt hat?

CV: Das Jahr hat sich definitiv für mich gelohnt, in vielerlei Hinsicht. Privat natürlich, allein wegen der Erfahrung, weil es mich ein Stück weit unabhängiger und selbstständiger gemacht hat. Und auch in beruflicher Hinsicht, weil es mich in die Richtung gelenkt hat, in die ich wollte.

STECKBRIEF CLAS VESPER


Geboren
1983

Bei Gira seit
2001

Ausbildung
zum Werkzeugmechaniker mit Fachrichtung Formentechnik

Werdegang bei Gira
Nach eineinhalb Jahren Weiterarbeit im Unternehmen ging Clas Vesper für ein Jahr nach Schanghai, China. Nach der Rückkehr arbeitete er als Projektbearbeiter in der Werkzeugbereitstellung, betreute dabei die internationale Werkzeugbeschaffung. Seit 2011 ist er Projektleiter im Kunststoffzentrum.

Aktuelle Weiterbildungsmaßnahme
Zusätzlich zu seinen Tätigkeiten im Unternehmen absolviert Clas Vesper derzeit eine Technikerausbildung in der Fachrichtung Maschinenbautechnik

[Stand 2016]


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